Bewegung macht klug
Interview mit Dr. Dieter Breithecker
Bewegung, Gesundheit und Bildung stehen nach Aussage der Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung e. V. in einem unmittelbaren Wechselbezug. Was das für Konsequenzen für unsere Kinder hat, erfahren wir in einem Gespräch mit deren Leiter Dr. Dieter Breithecker
Wieso ist Bewegung so wichtig und warum bezeichnen Sie Bewegung als Grundlage einer gesunden körperlichen und geistigen Entwicklung?
Kinder bringen von Natur aus die besten Voraussetzungen für ein bewegtes Leben mit. Bewegung ist der Motor kindlicher Entwicklung und die unentbehrliche Voraussetzung für ihre körperlich-geistige Entwicklung. Gerade bis zum Ende des Grundschulalters finden hochsensible Entwicklungsprozesse statt, die Kinder – bei entsprechend herausfordernden Angeboten – spontan auffordern, sich vielseitig, lustvoll und freiwillig zu bewegen. Bewegung muss „unter die Haut gehen“. Das spielerische Erkunden, Entdecken und Erobern ihrer Umwelt steht dabei im Vordergrund und ist erst einmal wichtiger als sportliche Aktivitäten. Dies erfolgt hauptsächlich über die Eigenaktivität des Kindes. In der Regel spüren sie intuitiv, welche Impulse für sie fruchtbar sind. Sie brauchen aber viel Zeit und einen Raum für Versuche, Experimente, Wagnisse und auch Fehler. Das ist die Grundlage für das Lernen.
Die Zeiten, in denen Kinder ihren Bewegungsdrang selbstorganisiert ausleben konnten, haben sich verändert. Was hat das für Konsequenzen?
In der Tat sind die oben beschriebenen Handlungen ohne Aufsicht überbesorgter Erziehungsverantwortlicher heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr. Kinder verbringen zu viel Zeit in geschlossenen Räumen. Diese Räume bieten unzureichende Bewegungsmöglichkeiten. Man versucht das zwar durch organisierte Sport- und Bewegungsangebote zu kompensieren, diese haben aber nicht den Stellenwert für kindliche Entwicklungsprozesse wie das selbstorganisierte Spielen und Bewegen mit anderen. Bewegungsmangel ist in kurzer Zeit zu einem prägenden Merkmal des menschlichen Daseins geworden. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf vielfältige gesundheitliche Folgen, auch wichtige Kernkompetenzen wie unter anderem die Sozialkompetenz sind davon betroffen.
Sie sprechen häufig von der „Sitzträgheitsfalle“, in der sich unsere Kinder heutzutage befinden. Was genau meinen Sie damit?
In der „Sitzträgheitsfalle“ befinden sich Kinder, wenn sie viele Stunden am Tag sitzend verbringen. Studien belegen, dass bereits Kinder im Grundschulalter im Durchschnitt bis zu 9 Std. am Tag sitzen. Und hierfür sind nicht nur Schule und Hausaufgaben verantwortlich zu machen. Die unkontrollierte Nutzung von Spielkonsolen, Smartphones, Fernseher und Co. ist ein unterschätzter Risikofaktor. Natürlich üben auch diese Angebote eine Faszination auf Kinder aus. Auch sie wollen entdeckt und erfahren werden, aber in Maßen. Denn passives konsumieren multimedialer Angebote übt nicht die erforderlichen körperlich-geistigen Entwicklungsimpulse aus wie sich mit anderen vielseitig zu bewegen. Jede Stunde, die zu viel vor den digitalen Medien verbracht wird, ist verlorene Körperlernzeit.
Auf was sollten Eltern im häuslichen Umfeld, z. B. im Kinderzimmer achten, damit ihr Kind nicht ständig sitzt?
Grundsätzlich ist Sitzen nichts Schädliches. Die Sitzdauer und das Stillsitzen stellen das Problem dar. Von Natur aus können Kinder sowieso nicht länger als ein paar Minuten – durchschnittlich ca. 3 Minuten – still sitzen. Auf dem Stuhl verändern sie intuitiv und spontan ihre Sitzpositionen. Am liebsten kauern oder liegen sie jedoch auf dem Boden. Wir sprechen hier von natürlichen und „körper-intelligenten“ Positionswechseln. Eltern sollten dies akzeptieren, nicht unterbinden. Im Prinzip gilt: nicht mehr still sitzen als nötig, so viel Positionswechsel und Bewegung wie möglich! Dem Bewegungsbedarf der Kinder kann man noch zusätzlich entsprechen, indem ein kleines Minitrampolin oder ein Stehpult im Kinderzimmer integriert werden.
Und wie können Elterngrundsätzlich die Bewegungsentwicklung ihrer Kinder unterstützen?
Ganz entscheidend durch ihr Vorbild und dadurch, dass sie sich dafür interessieren, welche Bewegungsqualitäten Kinder für ihre Entwicklung wirklich benötigen. Grundsätzlich sollten Sie dafür Sorge tragen, dass sich Kinder überhaupt bewegen können. Die Basis für jede gesunde Entwicklung ist ein bewegter Alltag. Fahrradfahren, Treppen steigen, im Haushalt oder im Garten Aufgaben übernehmen, zu Fuß zur Kita oder zur Schule gehen etc. strengen zwar nur leicht an, sind aber bereits wichtige Bewegungsreize für körperliche und geistige Entwicklungsprozesse. Anstrengender und organisch herausfordernder sind Aktivitäten in Form von Klettern, Toben, Rennen, Ballspielen oder Balancieren. Sie bringen den Körper ins Schwitzen und außer Puste. Von Vorteil ist es, wenn Heranwachsende mit Beginn der Grundschulzeit noch einer zusätzlichen sportlichen Herausforderung in der Schule oder im Verein nachgehen. Neigungen und Interessen der Kinder sollten hier Berücksichtigung erfahren.